Ein Jahr Reise zum Mond: Peking und Ostchina

Ende April standen wir erneut vor der chinesischen Grenze, dieses Mal in Vietnam. Nach mehreren Monaten Südostasien freuten wir uns wieder auf chinesisches Essen, unkomplizierte Unterkünfte und gute Straßen. Einen Teil davon fanden wir auch und China fühlte sich schnell vertraut an. Öfter mussten wir aber feststellen, dass wir jetzt im Osten Chinas sind, wo es nochmal ganz anders ist.

Unser erstes Ziel war Nanning, die Provinzhauptstadt von Guanxi, die mit knapp 7 Millionen Menschen eher in der zweiten Liga der chinesischen Großstädte spielt. Trotz der Größe versprüht Nanning einen kleinstädtischen Charme und vor allem das Marktviertel mit den vielen Essensständen hat uns direkt in den Bann gezogen. Zwei Nächte blieben wir in der Luxuswohnung unserer Couchsurfing-Gastgeberin. Die Wohnanlage, in der wir in Einem von fünfzehn 25-stöckigen Hochhäusern residierten, heißt “1612 Schönbrunn”.
Dann ging unser Zug nach Peking. Und dieses Mal ist doch passiert, was wir schon länger befürchtet hatten: Unsere Messer wurden beim Sicherheitscheck im Bahnhof konfisziert. Dass wir als Camper und Selbstversorger darauf angewiesen sind, zählte als Argument nicht viel. Schnell versuchten wir unsere liebgewonnen Messer mit der Post zu schicken, mussten aber ein paar Tage später feststellen, dass auch dieses Manöver zwecklos ist. Da nahe Peking gerade die Weltausstellung Expo stattfand, durften Schneidewerkzeuge nicht in oder aus der Stadt gesendet werden. Kann man nix machen, China hat eine ganz eigene Definition von Sicherheit.

Als wir in Peking aus dem Zug stiegen, war die Luft warm und der Himmel blau. Den Grund dafür erfuhren wir später: In der Stadt fand das Neue-Seidenstraßen-Gipfeltreffen (Belt and Road Summit) mit vielen internationalen PolitikerInnen statt. Wie immer zu diesen Anlässen werden die Fabriken im Umkreis geschlossen und der Verkehr eingeschränkt, um der Welt eine smogfreie Stadt zu präsentieren. Eingeschränkte Sicht, beißenden Geruch und wolkenlosen aber grauen Himmel sollten wir die Tage noch erleben.

In Peking wollten wir eine ganze Woche verbringen und unsere Leipziger Radlfreunde Eric und Veronika wiedertreffen. In Aserbaidschan hatten wir die Zwei zufällig auf der Straße getroffen und waren ein paar Tage zusammen unterwegs bevor die Beiden Richtung Iran und wir Richtung Kasachstan weiterfuhren. Jetzt kreuzten sich unsere Wege erneut und wir freuten uns auf ein Wiedersehen. Die ersten Tage verbrachten wir in einer typischen Expat-Wohngemeinschaft. Sechs junge Briten, fast alle als Englischlehrer tätig, wohnen im Zentrum Pekings und genießen das asiatische Leben und die Außenperspektive auf den Brexit. Tolle Kerle, die uns ein ganz anderes Bild Chinas und der Hauptstadt zeigten. Nach drei Nächten zogen wir dann in das StudentInnenviertel Wudaokou um. Zwischen Wolkenkratzern und Studierendenwohnheimen hat sich dort der “706 Youthspace” etabliert. Eine, für das durchorganisierte China, ungewöhnliche Institution, in der junge Leute einen sozialen und kulturellen Freiraum geschaffen haben. Neben Café, Kneipe und Wohnräumen gibt es dort eine Bibliothek, in der wir für vier Nächte unser Lager aufschlugen. Eric und Veronika waren mittlerweile auch dabei und zu viert hielten wir unseren ersten Reise- und Bildervortrag vor internationalem Publikum.

In Peking hatten wir tolle Begegnungen, aber so richtig überzeugen konnte die Stadt uns nicht. Die Dinge, die für uns China ausmachen, fanden wir dort kaum vor. Straßenverkäufer mit Leckereien, kleine Nudellokale an jeder Ecke, Menschen, die in der Sonne Mahjong spielen und Tee trinken, all das gibt es nicht mehr in Peking. Die Stadt soll sauber und schick sein wie das große Vorbild Shanghai.

Zu Viert radelten wir aus der Stadt in Richtung Innere Mongolei. 50 bis 100 Kilometer nördich der Stadtgrenzen beginnt die alte Chinesische Mauer, wobei der Begriff Mauer täuscht. In Wirklichkeit ist es nicht eine Mauer sondern eine Ansammlung zig verschiedener Mauerstücke, die alle von verschiedenen Herrschern mit unterschiedlichen Ambitionen im Laufe von fast 1000 Jahren gebaut wurden. Was aktuell Touristen als die “Great Wall” vorgeführt wird, hat mit der Mauer nicht viel zu tun und wurde in den letzten zwanzig Jahren komplett neu aufgebaut. Unter Mao wurden die Mauerreste als billiges Baumaterial genutzt, eine Praxis die die Mauer stärker geschliffen hat als alle militärischen Bedrohungen aus dem Norden. Wir hatten keine Lust auf das für Touristen nachgebaute Mauer-Disneyland und radelten zu wilden Mauerresten. Unser erster Versuch schlug fehl, doch nach bürokratischen Hindernissen und einem schweißtreibendem Aufstieg klappte es doch noch. Wir fanden einen Pfad zur Mauer in den Bergen und eine Obstwiese zum Zelten in der Nähe. Ungestört stiegen wir auf die Mauerreste. Eine Stunde vorher hatte es geregnet aber jetzt war die Sicht fantastisch. Soweit das Auge reichte sahen wir grünbewachsene Berge und überall dazwischen Reste der Großen Mauer.

Ám nächsten Fahrradtag mussten wir irgendwie an Benzin für unseren Kocher kommen, ohne das die Küche kalt bleibt. Alle Tankstellen im Osten Chinas befanden es aber als zu gefährlich, Ausländern Benzin zu verkaufen. Nach gefühlten zwanzig Versuchen erklärte uns ein Tankwart, dass wir eine polizeiliche Genehmigung dafür bräuchten. Also ab zur Polizei. Statt einer Genehmigung bekam ich das Benzin direkt aus dem polizeilichen Reservekanister, so einfach geht es also auch.

Unser nächstes behördliches Problem bekamen wir zwei Tage später in Zhangjiakou. Die Stadt richtet 2022 zusammen mit Peking die Olympischen Winterspiele aus, doch beherbergen wollte sie uns erstmal nicht. Seit Jahresanfang ist es allen Unterkünften (bis auf zwei oder drei Luxushotels) in der Stadt untersagt Ausländer aufzunehmen. Irgendwann erbarmte sich doch ein Hotelbesitzer uns illegal übernachten zu lassen. Dieses und viele andere Fälle sind die tollen Momente in China: Bei allen behördlichen Unsinnigkeiten die hier Menschen das Leben schwer machen, treffen wir doch immer wieder auf tolle ChinesenInnen, die uns unbürokratisch helfen.

In Zhangjiakou verabschiedeten wir uns wieder von Veronika und Eric, die mit dem Bus Richtung Ulaanbaatar fuhren. Wir wollten die Strecke mit dem Fahrrad zurücklegen und fuhren weiter Richtung Innere Mongolei und Wüste Gobi.

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